Beckenbodentraining
Starker Beckenboden, entspannte Schwangerschaft
Schwangerschaft und Geburt setzen dem Beckenboden zu. Die Folge: Bis zu 20 Prozent der Frauen leiden nach der Geburt an Inkontinenz. Mit einer massvoll trainierten, gesunden Beckenbodenmuskulatur – zum Beispiel durch regelmässiges Pilates – lässt sich dem vorbeugen.
Von unserem Beckenboden bekommen wir in der Regel erst dann etwas mit, wenn er nicht mehr richtig funktioniert. Dabei gebührt diesem stillen Schaffer viel mehr Beachtung und Verständnis. Der Beckenboden ist ein mehrschichtiges, ein bis zwei Zentimeter dickes Gewebe aus Muskeln, Faszien und Nerven, das sich zwischen unseren Beckenknochen aufspannt. Er sorgt dafür, dass unsere inneren Organe da bleiben, wo sie hingehören.
Zusammen mit dem Zwerchfell, dem queren Bauchmuskel Transversus abdominis und den vielen kleinen Zwischenwirbelmuskeln Multifidii gehört der Beckenboden zur sogenannten antizipatorischen Tiefenmuskulatur, die reflexartig jede unserer Bewegungen stabilisiert, noch bevor wir sie ausführen. Der Beckenboden trägt somit massgeblich dazu bei, dass wir die Balance halten können.
Marathonläufer, nicht Bodybuilder
Dass die rund ein Dutzend Muskeln des Beckenbodens diese Dauerleistung vollbringen können, liegt an ihrem Aufbau: Sie bestehen zu etwa zwei Dritteln aus roten, sogenannten Slow Twitch Muskelfasern. Das sind die Marathonläufer unter den Muskelfasern: eher langsam in ihrer Kontraktion und nicht wahnsinnig stark, dafür ausdauernd und ermüdungsresistent. Sie sind für konstante, moderate Belastung ausgelegt.
Manchmal, etwa wenn wir niessen, springen oder einen schweren Gegenstand anheben, muss die Beckenbodenmuskulatur aber kurzzeitig einen Gang hochfahren, um dem erhöhten Druck im Bauchraum Stand zu halten und zu verhindern, dass etwas in die Hose geht. Hier treten nun die weissen, sogenannten Fast Twitch Muskelfasern in Aktion, die stärker kontrahieren und mehr Kraft aufbauen können.
Das geht aber nur für eine kurze Zeit. Eine andauernde, übermässige Belastung – wie Schwangerschaft und Geburt – überfordert die Muskeln und Faszien des Beckenbodens.
Aber wie kann das sein? Kinder kriegen ist doch das Natürlichste von der Welt! — Ja, bloss unser moderne Lebensstil ist es eben nicht.
Und der wirkt sich – Schwangerschaft hin oder her – nicht gerade zugunsten unseres Beckenbodens aus.
Vorbelastung im Alltag
Die Probleme für die Beckenbodenmuskulatur fangen meistens schon lange vor der Schwangerschaft an – und betreffen auch Männer. Abgesehen von einer genetisch bedingten Bindegewebsschwäche liegen die Ursachen für einen vorbelasteten Beckenboden hauptsächlich in unseren Lebens- und Arbeitsgewohnheiten:
- zu wenig Bewegung
- zu langes Sitzen, besonders in schlechter Haltung
- psychischer Stress, der zu Brustatmung führt
- Übergewicht
Die Folge: Unsere Beckenbodenmuskeln werden einerseits schwächer, weil sie entweder zu wenig beansprucht und/oder einer zu hohen Dauerbelastung ausgesetzt sind. Andererseits verkürzen sie, weil sie nicht gedehnt werden (Brustatmung statt Bauchatmung).
Tipps für einen gesunden Beckenboden
- Beweg dich – ob spazieren, joggen, schwimmen oder sonst was, ist dabei nicht so wichtig. Der Beckenboden arbeitet sowieso bei jeder Bewegung mit.
- Achte auf ein gesundes Körpergewicht.
- Niesse und huste nach hinten oben, das verringert den Druck im Bauchraum.
- Atme bewusst in den Bauch anstatt in die Brust.
- Vermeide es als Frau, schwere Gewichte zu heben – der weibliche Beckenboden ist anders aufgebaut als der männliche.
- Kein Pipi-Stopp! Das Anhalten des Urinstrahls stört den komplexen nervlichen Prozess des Wasserlassens und schadet der Blase.
- Fange nicht erst in der Schwangerschaft mit Beckenbodentraining an. Lass es schon vorher zu einer Routine werden, zum Beispiel indem du regelmässig Pilates machst.
Inkontinent nach der Schwangerschaft
Punkto Schwangerschaft kommen zu unserem ohnehin nicht besonders beckenbodenfreundlichen Lebensstil noch zwei weitere Aspekte hinzu:
- Die Frauen gebären immer später. Im Schnitt sind Schweizer Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes 33 Jahre alt – da ist das Bindegewebe nicht mehr so elastisch wie mit Anfang 20.
- Die Kinder sind bei der Geburt grösser und schwerer als früher, was während der Schwangerschaft eine höhere Belastung und bei der Geburt, insbesondere einer natürlichen, zu einer stärkeren Überdehnung des Beckenbodengewebes führt.
Viele Frauen erleiden durch Schwangerschaft und Geburt mehr oder weniger ausgeprägte Beckenbodenschäden. Dies kann zu einer vorübergehenden Inkontinenz führen, die sich einige Tage nach der Geburt bei den meisten wieder legt, sobald sich der Beckenboden etwas erholt hat.
Bei 20% der Frauen aber entwickelt sich daraus eine bleibende Inkontinenz, wie eine norwegische Studie ergab. Mit gezieltem Beckenbodentraining lässt sich Inkontinenz behandeln.
Viel besser wäre es aber, den Beckenboden schon vorher und unabhängig von einer Schwangerschaft gesund und stark zu erhalten.
Zum Beispiel mit ein bis zwei Pilates-Stunden pro Woche und ausreichend Bewegung im Alltag.
Klasse statt Masse: Hypertonen Beckenboden vermeiden
Der Beckenboden kann auch verspannen, unter anderem durch falsches, zu starkes Training. Man spricht dann von einem hypertonen Beckenboden – die Muskulatur kann nicht mehr lösen und nicht mehr richtig funktionieren. Mögliche Folgen: Blasenentzündungen, Verstopfung, Schmerzen beim Sex und mehr.
Eine zu straffe Beckenbodenmuskulatur ist genauso schädlich wie eine zu schwache. Also: Klasse statt Masse. Wir sollten unseren Beckenboden regelmässig, aber mass- und sinnvoll trainieren. Zum Beispiel mit Pilates.
Der Beckenboden im Pilates
Im Pilates trainieren wir den Beckenboden allein schon durch die Atmung. Wir praktizieren die natürliche, entspannte Bauchatmung, das heisst, wir atmen in den gesamten Bauchraum ein. Dabei drückt das Zwerchfell die Organe nach unten auf den Beckenboden, wodurch dieser sanft gedehnt wird. Bei der Ausatmung spannen wir den Beckenboden und seinen Kollegen, den queren Bauchmuskel Transversus abdominis, bewusst an. Dieses Wechselspiel von Spannung und Entspannung ist essentiell für die Funktionsfähigkeit eines jeden Muskels.
Hinzu kommen die verschiedenen Pilates-Übungen mit mehr oder weniger grossen Hebelbewegungen. Hier muss der Beckenboden stets mitarbeiten, damit das Becken und somit der gesamte Rumpf stabil bleiben.
Genau darin liegt der Vorteil von Pilates gegenüber isoliertem Beckenbodentraining: Pilates trainiert den gesamten Körper, schult das Körperbewusstsein und lehrt uns, den Beckenboden in unterschiedlichen Positionen und im Zusammenspiel mit anderen Muskeln gezielt zu aktivieren.
Quellen und weiterführende Infos
Text und Illustrationen: Isabel Plana